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Orgelunterricht für Anfänger oder Fortgeschrittene?

 

Im Rahmen eines Unterrichtslabors an der Musikhochschule Freiburg durfte ich ein Semester lang eine Kommilitonin auf der Orgel unterrichten. Da sie Cembalo studierte, konnte im Orgelunterricht auf sehr große Vorkenntnisse in Bezug auf den Umgang mit historischen Tasteninstrumenten und die Interpretation entsprechender Literatur zurückgegriffen werden. Dies hatte einerseits den Vorteil, dass der Orgelunterricht gewissermaßen auf Augenhöhe stattfinden konnte und ich meinerseits vor allem orgeltypische Aspekte vermitteln konnte. Andererseits bildete diese besondere Unterrichtssituation natürlich nicht den alltäglichen Unterricht auf der Orgel ab. Alltäglicher Unterricht meint hier den Orgelunterricht, in dem hauptberufliche Kirchenmusiker Menschen aller Altersgruppen aus einem Kirchenbezirk unterrichten. Bevor mit solchem Unterricht begonnen wird, stellt sich oft eine Frage, die ich in diesem Essay bedenken möchte: Ist die Orgel ein Instrument, das sich dazu eignet als Einstiegsinstrument erlernt zu werden oder sollten für das Erlernen der Orgel Vorkenntnisse bzw. ein gewisses Mindestalter vorausgesetzt werden? 

 

Typische Einstiegsinstrumente sind beispielsweise Blockflöte wegen ihrer (vermeintlich) einfachen Technik, Klavier als Instrument, das alle chromatischen Töne übersichtlich in Tasten angeordnet vor Augen führt oder Geige, von der es für Kinder üblicherweise kleinere Modelle gibt. Die Orgel zählt im Allgemeinen eher nicht als Einstiegsinstrument. Oft werden beim Angebot von Orgelunterricht sogar ausdrücklich Vorkenntnisse auf dem Klavier und ein gewisses Mindestalter vorausgesetzt. Dies hat verschiedene Gründe: Einerseits sind Kinder sind wegen ihrer geringeren Körpergröße oft nicht in der Lage alle Tasten der zwei bis drei Manuale oder alle Pedale der Orgel zu erreichen. Somit scheint die Orgel bereits wegen ihrer großen Maße für kleinere Kinder ungeeignet zu sein. Andererseits verlangt das Spiel auf der Orgel eine besondere technische wie motorische Begabung, da das Spiel mit beiden Händen auf verschiedenen Manualen mit dem Spiel der Füße kombiniert werden muss. Ein weiterer Grund, der insbesondere Kinder betrifft, ist die Tatsache, dass das Üben der Orgel in der Regel nur in Kirchen möglich ist und damit auch mit organisatorischen Herausforderungen verbunden ist. 

Dennoch denke ich, dass die Orgel sich wie jedes andere Instrument grundsätzlich als Einstiegsinstrument eignet. Die Vorurteile, dass für das Erlernen der Orgel ein hohes Maß an Vorkenntnissen vonnöten sind und die Orgel technisch wesentlich anspruchsvoller ist als andere Instrumente, hält möglicherweise nur Menschen davon ab, das Orgelspielen zu erlernen und schadet der Orgel in ihrem Ansehen. Den Vorteil des Klaviers mit seinen chromatisch angeordneten Tasten weist wie jedes andere Tasteninstrument auch die Orgel auf. Alle Manuale und Pedale sind für kleine Kinder tatsächlich noch nicht zu erreichen – es ist aber durchaus möglich zunächst ohne Pedal und Verwendung aller Manuale auf der Orgel zu spielen. Vielmehr erschließen sich dadurch für Kinder im Lauf der Jahre und ihres Wachstums immer neue Facetten dieses Instruments, ohne dass 
diese durch mühsames Üben und Verbessern der Technik erarbeitet werden müssen. Was sogar für die Orgel als Erstinstrument spricht sind ihre Register und Klangfarben, die nach und nach entdeckt werden können. So können auch Beginner bereits von Anfang an mit verschiedensten Klängen spielen und experimentieren, was das Üben selbst einfacher Melodien interessant bleiben lässt. In Verbindung damit lässt sich außerdem besonders gut das Feld der Improvisation erschließen, das bis heute fester Bestandteil des Orgelspiels ist. Dass Orgel zumeist nur in Kirchen geübt werden kann mag aus organisatorischer Sicht problematisch erscheinen, kann sich anders betrachtet aber möglicherweise auch als Vorteil herausstellen. Natürlich gibt es mittlerweile elektrische Orgeln für zuhause, die ein echtes Instrument höchst realistisch imitieren. Das Spielen auf einem echten Instrument ersetzten diese elektrischen Instrumente selbstverständlich nicht. Ein Kirchenraum, der ganz bewusst zu gewissen Zeiten zum Üben aufgesucht wird, kann aber auch viel mehr ein Raum der Konzentration und Inspiration werden als das heimische Wohnzimmer. Die Zeit, die man sich regelmäßig zum Üben nimmt, wird dadurch wesentlich bewusster und letztlich gewinnbringender genutzt, als wenn das Instrument in der freien Zeit zuhause herausgeholt wird. 

 

Letztlich vertrete ich die Meinung, dass jedes Instrument die Chance haben sollte, als Einstiegsinstrument erlernt werden zu dürfen. Die Orgel ist nicht allein durch ihre Größe und ihren mächtigen Klang ein beindruckendes und vielseitiges Instrument und kann Lernende dadurch in ihren Bann ziehen und die Freude an der Musik erhalten. Ich finde deshalb, dass Orgellehrer ihren Horizont und ihre Kompetenzen dahingehend erweitern sollten, auch Unterricht für Einsteiger anzubieten, die mit der Orgel beginnen wollen, ein Instrument zu erlernen. Die Orgel kann so für Kinder wie für Erwachsene zum Beginn einer langen musikalischen Laufbahn werden. 

Julian Handlos

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